


Heute kann Edgar sich nicht mehr daran erinnern, aber er war mal ein ganz normaler Junge. Das ist erst ein paar hundert Jahre her. Er sammelte gern Dinge, die andere verloren hatten: Zähne, Socken, Schlüssel oder Brillen. Wie alle Jungen.
Edgar lebte mit seiner Oma Edna im Dorf Ravensbrook. (Das spricht man Räwens-Bruhk aus.) Das Dorf hatte zuerst 50 Einwohner, dann 49, dann 43 ... irgendwann waren nur 32 übrig. Alle über 80 Jahre alt.
Als Edgar 8 Jahre alt wurde, hatte er jedem Bewohner von Ravensbrook mehrfach das Gebiss, die Schlüssel oder die Brille zurückgebracht. Ihm wurde sehr langweilig. Manchmal spielten die Dorfbewohner mit ihm Verstecken. Aber mittendrin vergaßen sie, was sie suchten. Dann fanden sie eine Murmel oder eine Socke und freuten sich. Nur Edgar fand keiner.
Oft wurde es dunkel, während er darauf wartete, entdeckt zu werden. Manchmal schlief er in seinem Versteck ein. In genau so einer Nacht rief auf einmal eine Mädchen-Stimme: "Hab dich!" und Edgar schreckte auf.
Er hatte sich hinter einem schiefen Grabstein auf dem Friedhof versteckt. Den Friedhof mochte er gern. Edgar war alle paar Wochen auf einer Beerdigung. Wie die meisten Kinder. Auf Beerdigungen wurden schöne Reden gehalten. Die Dorfbewohner hatten ihre besten Kleider und Anzüge an. Der alte Angus spielte Dudelsack und es gab leckeres Essen.
Nur Mädchen gab es nie. Nicht auf dem Friedhof und auch sonst nicht in Ravensbrook und Umgebung. Das Mädchen hatte grünliche Haut und zwei schmale Löcher statt der Nase. Die Augen waren riesig. Haare hatte sie nicht viele und nur ein Ohr. Das war bestimmt bei allen Mädchen so, vermutete Edgar. Er fand sie hübsch.
Edgar's Story
*Auf Englisch heißen Gute-Nachtgeschichten "Bed Time Stories". "Bad" heißt "böse" oder "schlecht". Das ist aber bestimmt nur ein Zufall. Hähä.




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"Ich bin Berenice Boones", sagte das Mädchen. "Du kannst Bernie zu mir sagen." (Das spricht man Berr-Nies Buhns und Börnie aus.)
"Hallo", sagte Edgar. "Ich bin Edgar. Wollen wir Freunde sein?"
„Was ist das?“, wollte Bernie wissen.
Darüber musste Edgar nachdenken, denn bisher hatte er noch keine. „Freunde ... das sind Leute, die nicht aufhören dich zu suchen, wenn du dich versteckst.“
Bernie strahlte. Sie hatte vier Zähne. Wie alle Mädchen, nahm Edgar an.
„Das krieg ich hin!“, versprach Bernie ihm. „Muss man sich als Ganzes verstecken oder zählen auch Teile?“
„Auch Teile“, sagte Edgar sofort. Denn er fand ja immer Gebisse und Brillen und Socken und so.
Bernie drehte sich vor Freude im Kreis. „Hilfst du mir, mein Ohr zu finden?“, fragte sie.
Edgar nickte eifrig.
„Wo hast du es zuletzt gesehen?“, fragte er, doch dann fiel ihm ein, dass er seine eigenen Ohren nur im Spiegel sehen konnte. „Was hast du zuletzt gehört?“, fragte er stattdessen.
Bernie konzentrierte sich. „Ich höre Summen und Schritte auf Steinboden. Und ein komisches Schleifen. WSCHSCH-WSCHSCH.“
Edgar lächelte. Er wusste, wo ihr Ohr war. „Das ist Miss Hella, die im Hella’s Inn den Boden fegt.“




Gemeinsam liefen sie zu der kleinen Pension und klopften an die Tür. Von drin hörten sie das Geräusch eines Besens, der den Steinboden fegte.
Miss Hella öffnete die Tür, sah Bernie und fing an zu kreischen: „AAAAAH! Zombie! Zombie!“
Anschließend fiel sie in Ohnmacht. Edgar wandte sich an Bernie. „Es tut mir leid, sie ist sonst sehr nett. Aber sie hat wohl noch nie ein Mädchen gesehen. Es gibt keine in Ravensbrook.“
Damit stieg er über Miss Hella hinweg und fischte Bernies Ohr aus dem Haufen Dreck, den die Wirtin zusammengefegt hatte.
Als er es Bernie zurückgeben wollte, schüttelte sie den Kopf.
„Behalt es, dann kannst du mich rufen, wenn du spielen willst“, sagte sie.
„Wohnst du nicht hier?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich geh auf die Nightmore Academy, aber das darfst du keinem verraten. Tschüss, bis bald!“
Damit lief das ganz normale Mädchen davon. Und Edgar fing an sich zu fragen, was er wohl tun müsste, um auf dieses Internat gehen zu dürfen.
In dem Moment hörte er ein unglaublich lautes Geräusch: ROOOOOOOAAAAAAAR!! Und eine gewaltige Schlange schlitterte den Berghang herab auf Ravenbrook zu.
Edgar fand, sie sah fast aus wie ein Beithir. (Das spricht man Wä-HieRRR aus.) Aber das ist eine andere Geschichte, die interessiert dich bestimmt nicht ...
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ENDE
BAD TIME STORIES*






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